Wann ist die Ich-Perspektive eigentlich besonders zu empfehlen? - Immer dann, wenn ein anderer Charakter als der Erzähler im Vordergrund stehen soll.
Im letzten Beitrag hatte ich bereits erklärt, dass ein Ich-Erzähler die Wahrnehmung des Protagonisten als eigenständigen Charakter behindert. Das kann man sich aber besonders dann zunutze machen, wenn der eigentliche Protagonist eines Buches NICHT gleichzeitig der Erzähler sein soll.
Wann kann das gut sein?
Wenn ein Ich-Erzähler die Geschichte eines anderen als Augenzeuge berichtet, wird sie besonders glaubwürdig und immersiv. Im 20. Jahrhundert handelte es sich dabei sogar um ein sehr beliebtes Stilmittel. Eines der bekanntesten Beispiele ist hierfür „Der große Gatsby“.
Als Augenzeuge tritt der Ich-Erzähler nicht nur in den Hintergrund, sondern schützt sich auch vor der Kritik des Lesers, denn da er meistens nicht der wichtigste Handlungsträger ist, sondern nur beschreibt, was er sieht und in das Verhalten des Protagonisten hineininterpretiert, bleiben bekannte Leserprobleme wie „Ich konnte mich gar nicht mit dem Hauptcharakter identifizieren!“ aus.
Und was macht die Er-/Sie-Perspektive aus? Sie besitzt gegenüber der Ich-Perspektive einen entscheidenden Vorteil:
Der Protagonist wird stärker als eigenständiger Charakter wahrgenommen, weil die Pronomen der dritten Person eine komfortable kognitive Distanz für den Leser schaffen. Auch erleichtert diese Perspektive die Arbeit mit unterschiedlichen Perspektiven innerhalb einer Geschichte. Selbstverständlich kann ein Buch mit wechselnden Perspektiven auch in der ersten Person geschrieben werden, aber diese Schreibart erschwert es dem Leser sich zu erinnern, in wessen Perspektive er gerade steckt, weil für ihn „ich“ immer nur „ich“ ist.
Diese kleine zusätzliche Distanz der Er-/Sie-Perspektive erhöht das Identifikationspotenzial mit einem Charakter und damit auch den potenziellen Erfolg eines Buches.
Du glaubst mir nicht?
Mach selbst den Test: Zu jedem beliebigen Zeitpunkt wird die Bestsellerliste überwiegend aus Büchern bestehen, die in der Er-/Sie-Perspektive verfasst worden sind. Das gilt besonders für das Genre Fantasy, denn der Leser akzeptiert die Geschichte dadurch eher als von der eigenen Person losgelöst und lässt den Charakteren und der Welt mehr Raum, sich zu entfalten.
Allerdings gibt es hier eine Ausnahme: Romantasy
Fantasy ist erfolgreicher in der Er-/Sie-Perspektive - das gilt allerdings nicht für Romantasy.
Romantasy ist, wie der Name schon verrät, Romance plus Fantasy.
Wenn eine Liebesgeschichte der Haupt-Handlungstreiber einer Story ist, ist der Autor besser damit beraten, aus der Ich-Perspektive zu schreiben. Denn ein Leser, der in einer Liebesgeschichte versinken möchte, will genau das: versinken. Der Protagonist steht nicht als eigener Charakter im Vordergrund, sondern ist nur der Stellvertreter, durch den der Leser Gefühle von Verliebtheit erfahren möchte. Zusätzliche Distanz durch die Er-/Sie-Perspektive würde dem entgegenwirken.
Das soll erst einmal als kleiner Überblick zu den Erzählperspektiven reichen. Im nächsten Blogbeitrag geht es weiter mit dem Thema: Plotten, und warum das tatsächlich sinnvoll ist.
Alles Flauschige und viel Glitzer,
Vinachia 💖
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